Paris - Trier - Lünen



Eine Odyssee mit Schrecken


ein kleiner Stimmungsbericht von der Mikro-WM 1997 in Paris mit Photos, Anekdoten & Tonmaterial.
Ananse (Walter Bannermann) in Aktion. Respekt vor Walter dem unermüdlichen Kämpfer aus der Schweiz.
Isichess Programmierer Gerd Isenberg hat Spaß.
Gerd schätze ich sehr. Er hat eigentlich fast immer die richtige Laune und mit ihm kann man
Pferde stehlen. Isichess wird auch stärker und
stärker von Version zu Version. Ich vermute Gerd nimmt Dopingmittel in letzter Zeit :-)) Wollen wir mal eine Haarprobe machen ?!
Ich revidiere meine Meinung, nicht immer hat Gerd Spaß. Hier ist er wohl in einem ernsthaften Gespräch mit Jaap van den Herik. So wie ich Jaap kenne, wird Gerd gerade angeblafft. Weiß der Henker was Gerd da wieder verkehrt gemacht hat.
Chrilly Donninger (Nimzo-Programmierer) in Aktion
Da sind wir bei einem Araber in Paris essen. Gerd ist sichtlich irritiert: "Nanu, wo sind denn die alkoholischen Getränke?" Alle schauen sehr renitent weil Peter und ich das spartanische Restaurant zu ihrem Leidwesen ausgesucht hatten. Wir wollten es eben nicht pompös, wie Chris der im- mer mit seinen 'zig Kreditkarten wedelte, sondern klein aber fein.
So ganz wohl ist ihnen dabei wohl nicht.
Im Hintergrund rechts, sitzt Chris Whittington, wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Nahrung und Alkoholischem lächzend. Daneben mit einem ausgermergelten Gesicht das Bände spricht, Eugenio Castillo, der spanische Program- mierer von Eugen. Daneben Chrilly Donninger und Alex Kure und diverser Anhang in blond.
Peter Schreiner und Gerd Isernberg kennen sich noch aus der "Zeit bei Stamer". Peter hat nachdem er lange bei Ossi Weiner arbeitete nun sein Glück bei ChessBase gefunden. Peter ist ein sehr geselliger Mensch. Das mag ich. 
Meine besten Freunde: Der Gewinner der WM, Junior Programmierer Amir Ban lässig abgestützt auf seinen Boliden, sitzend und sichtlich gut gelaunt Frans Morsch, daneben Matthias Feist.
Der holländische Computerschachexperte Jan Louwmann, DER Computerschachpapst schlechthin. Ein Urgestein der alles miterlebt hat. Jaap van den Herik in Konversation mit Jan's Frau, die immer dabei ist und nach dem rechten schaut. So stelle ich mir auch vor einmal mit meiner Freundin dazusitzen, vielleicht in ein paar Jahrzehnten...   :-))
Der herrlich anzusehende Raum in der alten Börse in Paris!
eine höchst gefährliche Situation ist, wenn Vincent herumläuft und noch gefährlicher ist wenn er sagt: du stehst besser.
Dann verlierst du garantiert. Ob der Nimzo-Operator Bernhard Biberle das aushält... na klar. Österreicher kann
so schnell nix aus der Ruhe bringen.
Neben Chris Whittington sitzt sein in der Fremde etwas scheuer Sohn Toby. Im Vordergrund rechts sitzt Roland Pfister, der Programmierer von Patzer. Noch immer haben wir nichts zu essen und zu trinken. Aber Hoffnung in den Augen.
Turniersaal!
Turniersaal!
Mein Freund Peter,
Roland Pfister und
Dan Wolf aus dem Gandalf Team.
Stefan Meyer-Kahlen (Shredder) und Markus Gille (Dark Thought) im Gespräch.

Markus ist eigentlich selten schlecht gelaunt und mag Eierlikör.
selten war eine WM in solch einem Ambiente...
falls sich irgendeiner für die Damen an der Decke interessiert ?
David Levy schaut der Partie von Shredder zu, Karsten Bauermeister unschlüssig wem er sich zuwenden soll, Levy oder der schönen Estelle. Die 15. Mikro-WM 1997in Paris,
Die 15. Mikro-WM 1997 in Paris,
ein Turniermit besonderem Flair..
.

Dezember 1997
von Peter Schreiner
 




Die 1977 gegründete ICCA (International Computer Chess Association) organisiert seit Jahren die von der Schachöffentlichkeit vielbeachteten Weltmeisterschaften für Mikro-Computer. Austragungsort der 15.Mikro-WM war die unter Napoleon Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erbaute Kultstätte des französischen Finanzwesens, die altehrwürdige Pariser Börse. Die Bedeutung des Schauplatzes der WM dokumentierte sich unter anderem an den extrem gründlichen Sicherheitskontrollen, denen sich die Teilnehmer oder interessierte Zuschauer vor Betreten des Turniersaals unterziehen mußten. Chris Wittington verglich den Spielort scherzhaft mit Fort Knox...
Als aktiver Teilnehmer an diesem Turnier (ich bediente während des gesamten Turnieres MChess Pro 7.0) betrachtet man die Ereignisse natürlich aus einer etwas anderen Perspektive als ein völlig unbefangener Beobachter. Schließlich sitzt man mit angespannten Nerven vor dem Rechner und kann die Aktivitäten des betreuten Schützlings nur hilflos mitverfolgen, ohne selbst eingreifen zu können...

Profis, Halbprofis, Amateure und einiges Gerangel...

Auch in diesem Jahr vermisste man schmerzlich einige der führenden Top-Programme, wie z.B. Genius, Rebel, The King oder Hiarcs. Natürlich wird die Aussagekraft einer WM durch das Fehlen der stärksten Programme immer etwas entwertet; bleibt also die Frage zu klären , warum die vorgenannten Kandidaten der WM fernblieben. Am erfolgreichsten bei den von der ICCA veranstalteten WM-Turnieren war bisher der Engländer Richard Lang, der für sein Fernbleiben eine plausible Erklärung parat hatte. Richard arbeitet zur Zeit intensiv an einer ganz neu konzipierten Programm-Version seines Genius und hatte zum Zeitpunkt des Turnieres noch gar keine spielfähige Version fertig.
Von Johan de Koning war keine offizielle Stellungnahme zu bekommen; es gab während des Turnieres einige Gerüchte, daß die Firma Mindscape, die den CM5500 incl. Schachengine von de Koning kommerziell äußerst erfolgreich vertreibt, keinen Mißerfolg in einem WM-Turnier riskieren wollte.
Ed Schröder, der das Turnier in der Vergangenheit bereits zweimal gewinnen konnte, wollte sich ebenfalls nicht klar zu seiner Nichtteilnahme äußern. Ich vermute einmal, daß Ed sich nicht ganz zu Unrecht kurz vor der Produktion seines Rebel 9.0 davor scheute, die mit einer Turnierteilnahme verbundenen hohen Kosten und die zeitaufwendige Turniervorbereitung auf sich zu nehmen.
Das Fernbleiben des Spitzenreiters der Eloliste der SSDF, Hiarcs 6.0, ist allerdings eindeutig auf das recht sture und fast schon an das Gebaren mancher Bürokraten erinnernde Verhalten der ICCA Funktionäre zurückzuführen. Die ICCA nimmt schon seit Jahren eine recht willkürliche Einstufung der einzelnen Programme in bestimmte Kategorien vor:

1.) Profi
2.) Halbprofi
3.) Amateur.


Für die einzelnen Autoren hat diese Einstufung beträchtliche finanzielle Konsequenzen, da z.B. der "Profi" 1000$, der Halbprofi lediglich 100$ und der Amateur für eine Turnierteilnahme gar nichts berappen muß.

Mark Uniacke entwickelt Hiarcs komplett in seiner Freizeit und geht einem ganz normalen Brotberuf nach, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Also reklamierte der Engländer - meiner Ansicht nach völlig zu Recht - den Amateur- oder zumindest den Status eines Halbprofi. Dies wurde von der ICCA unverständlicherweise kategorisch abgelehnt und das Turnier durch die Nichtteilnahme des durchaus spielwilligen Mark Uniacke erheblich entwertet.

In einem Telefonat gab mir Mark Uniacke noch einige Details zu den Verhandlungen bekannt: Mark wäre sogar durchaus bereit gewesen, die 1000$ für eine Teilnahme zu bezahlen!
Lediglich das sture Nichtanerkennen seines Status durch die Funktionäre veranlaßte Mark dazu, nicht am Turnier teilzunehmen. Ich selbst kann diese Haltung überhaupt nicht nachvollziehen, da man doch annehmen muß, daß es im Interesse der Organisatoren liegen sollte, daß möglichst viele der Top-Programme an einem WM-Turnier teilnehmen.

In dieser Hinsicht gab es noch viele Ungereimtheiten: warum wurde beispielsweise der Österreicher Chrilly Donninger, der schon seit einigen Jahren als Profi im Computerschach tätig ist und auch ganz offen dazu steht, als Halbprofi geführt?

Merkwürdig war auch die Beförderung des englischen Programms CHESSTAL von Chris Wittington zum "Profi".

Chris Wittington hat zwar eine Softwarefirma, die sehr erfolgreich Unterhaltungsspiele produziert. Auf eine kommerzielle Version des CHESSTAL mußten die Freaks aber bis vor kurzem warten; also konnte Chris in der Zwischenzeit wohl kaum von der Schachprogrammierung gelebt haben...

Bisher war dieses Thema in den Statuten der ICCA eigentlich recht klar geregelt: Profi ist derjenige Autor, der mehr als 25% seines Einkommens durch die Schachprogrammierung erzielt. Eine klare Regel, die aber diesmal einfach ignoriert wurde und deshalb Anlaß für heftige Diskussionen bot.

Auch Marty Hirsch geht seit längerer Zeit einer "normalen" Tätigkeit nach und arbeitet ausschließlich in seiner Freizeit an MChess Pro. Da lag es natürlich nahe, ebenfalls den finanziell leichter zu ertragenden Status eines Halbprofi oder Amateurs zu beantragen. Dieses Anliegen wurde von den Funktionären mit einer interessanten Begründung abgelehnt, die sinngemäß in etwa so ausfiel: entscheidend für die Einstufung zum Profi ist nicht das Einkommen des Autoren durch die Schachprogrammierung, sondern die generelle Verbreitung und der Bekanntheitsgrad eines Schachprogramms.

Ein interessanter Standpunkt, trotzdem hätte eine konsequente Anwendung der bisher angewandten Regel bei den Beteiligten einer weniger schalen Nachgeschmack hinterlassen; übrigens hat Marty Hirsch zähneknirschend die 1000$ bezahlt.

Ich vertrete die Ansicht, daß diese Regelung an der Lebenssituation der Programmautoren völlig vorbeigeht. Eine Schattenseite des PC-Booms besteht für viele Programmierer darin, daß es kaum noch möglich ist, ausschließlich von der Schachprogrammierung zu leben. Die wenigen Ausnahmen (R.Lang, E.Schröder, C.Donninger oder F.Morsch) ändern nichts an dieser Tatsache. In den früheren Glanzzeiten von Mephisto, Saitek war diese Form der Auffrischung des Spesenkontos sicher noch berechtigt, aber heute?

Viele Teilnehmer stellten sich in Paris die Frage, inwieweit in Anbetracht der finanzkräftigen Sponsoren diese Zahlung überhaupt notwendig war? Meiner Ansicht nach sollte die ICCA auf diese Klassifizierung incl. der Geldforderung generell verzichten und das Turnier - wenn möglich - ausschließlich aus den zur Verfügung gestellten Mitteln der Sponsoren bestreiten.

200 MHz, 233 MHz, 300 MHz, 533 MHz oder 767 (!) MHz...
Wer bietet mehr?

Alle 34 Teilnehmer trafen am Samstag (einen Tag vor Turnierbeginn) im Spielsaal ein, um ihre Software auf den vom Sponsor AMD bereitgestellten Maschinen einzurichten. Die Stimmung derjenigen Teilnehmer, die keinen eigenen Rechner mitbringen konnten, war - gelinde gesagt - etwas gedrückt.

Erst wenige Tage vor Turnierbeginn wurde von Seiten der ICCA via Email mitgeteilt, daß AMD die im Vorfeld versprochenen K6-Rechner mit 233 MHz Taktfrequenz nicht liefern konnte! Die Firma konnte den Teilnehmern lediglich mit 200 MHz getaktete Maschinen anbieten. Einige Leser werden sich jetzt vielleicht fragen, was denn bitte schön an 200 MHz schnellen K6-Rechnern auszusetzen ist?
Im Prinzip gar nichts, bis auf die Tatsache, daß anderen Teilnehmern eben bedeutend schnellere Maschinen zur Verfügung standen.

Beispielsweise agierten Fritz5, VirtualChess II oder ChessTal auf den superschnellen, mit 300 MHz getakteten, Pentium II Rechnern von Intel und andere Programme wie z.B. Shredder, Crafty liefen auf Alphas mit 533 MHz. Den Rekord stellten Ferret und Dark Thought auf, die auf superschnellen 767 (!) MHz Alphas von Digital liefen.

Laut dem Reglement der ICCA dürfen bei der Mikro-WM nur Rechner eingesetzt werden, die zum Zeitpunkt des Turnieres auch kommerziell verfügbar sind. Anhand des bei der WM ausgelegten Werbematerials von DEC handelte es sich aber bei den mit 767 MHz getakteten Rechnern noch um Prototypen, die zum Zeitpunkt des Turnieres gar nicht kommerziell verfügbar waren (Obergrenze bis dahin 600 MHz).

In der Spielerbesprechung protestierte dann Chris Wittington meiner Ansicht nach völlig zu Recht gegen die Nutzung der 767er und verlangte die konsequente Anwendung der Statuten. Der ICCA-Präsident schmetterte den Einwand sinngemäß mit dem Hinweis ab: die Maschinen sind hier im Turniersaal, also sind sie auch verfügbar! Welchen Schluß kann man aus der beschriebenen Materialschlacht ziehen?

Für mich stellt sich die Sache so dar, daß man bei den unterschiedlichen Vorausetzungen, mit denen die einzelnen Programme an den Start gingen, wohl kaum davon ausgehen kann, daß bei dieser WM unbedingt das stärkste Programm gewonnen hat. Die Chancengleichheit war in Paris einfach nicht gewahrt und einige Programme gingen mit einer beträchtlichen, hardwarebedingten Vorgabe an den Start. Daher würde ich beim Betrachten der Abschlußtabelle unbedingt berücksichtigen, welche Hard- und Softwarekombination den Titel gewonnen hat. Auch in Paris war es wie im richtigen Leben: alle sind gleich, manche etwas gleicher...
Aber ganz klar: ein schlechtes Programm würde natürlich auch auf einer ultraschnellen Hardware keine großen Erfolge haben, sondern seine schlechten Züge halt nur früher ausspielen. Die ganze Veranstaltung wäre aber meiner Ansicht nach für den interessierten Beobachter wesentlich aussagekräftiger gewesen, wenn alle Teilnehmer auf identischer oder zumindest in der Leistung ähnlicher Hardware gespielt hätten.


Regeln und Spielbedingungen

Am Samstag vor Turnierbeginn fand die Spielerbesprechung statt, um eine endgültige Regelung für die Bedenkzeitkontrollen und den weiteren organisatorischen Ablauf zu finden. Viele Teilnehmer konnten sich immer noch nicht so recht mit den von AMD zur Verfügung gestellten "lahmen" 200 MHz - Turniermaschinen anfreunden und setzten dem Turnierleiter Prof. J. van den Herik (der natürlich gar nichts dafür konnte) gehörig zu. Nach einer heftigen, nicht immer sachlich geführten Diskussion, fand sich dann eine Mehrheit für die folgende Regelung:

1.) Die Bedenkzeit betrug für die ersten 30 Züge 60 Minuten, für die nächsten 40 Züge 60 Minuten und danach noch einmal 60 Minuten für 40 Züge bis zum 110.Zug. Sollte danach keine Entscheidung gefallen sein, wurde die Partie vom Turnierleiter abgeschätzt. Bevor ein Remis angenommen oder die Partie aufgegeben werden durfte, mußte vorher der Schiedsrichter informiert werden.

2.) Alle Teilnehmer, die mit einem der bereitgestellten K6/200 MHz Rechner spielen mußten, sollten pro Zeitkontrolle zusätzliche 10 Minuten Bedenkzeit bekommen, wenn sie gegen ein Programm auf schnellerer Hardware spielten. Diese Regel galt nur für die 200 MHz K6 Rechner, dazu später mehr.

3.) Die Turnierleitung entschied sich für ein sogenanntes "beschleunigtes" Paarungssystem für die erste und die zweite Runde. Für diese beiden Runden wurde das Teilnehmerfeld in zwei Gruppen aufgeteilt; einmal in eine sogenannte Top-Gruppe mit den stärkeren Programmen und in eine zweite Gruppe mit den nach Ansicht der Turnierleitung etwas "schwächeren" Programmen. Ab der dritten Runde sollte dann völlig normal nach Schweizer System jeder gegen jeden ausgelost werden.
Insbesondere die Punkte 2 und 3 waren Gegenstand einer sehr kontrovers geführten Diskussion. Nehmen wir einmal die Regelung 2 (nur gültig für K6/200 MHz) etwas genauer unter die Lupe, denn indirekt gab die Turnierleitung damit ja eine Benachteiligung der Programme auf langsamerer Hardware zu. Was war aber jetzt mit den Programmen (MChess, Hydra), die z.B. auf einem K6 233 MHz liefen und dann gegen einen der superschnellen Alphas oder gegen einen Pentium II/300 spielen mußten? Trotz des recht geringen Hardwarevorteils im Vergleich zum K6/200 kamen diese Programme nicht in den Genuß eines zusätzlichen Zeitvorteils, wenn sie gegen schnellere Rechner antreten mußten.

Meiner Ansicht nach war diese Regel in höchstem Maß inkonsequent und diente wohl in erster Linie dazu, die etwas aufgebrachten Gemüter in der Spielerversammlung zu beschwichtigen. Berücksichtigt man dann noch die Tatsache, daß das Programm auf dem schnelleren Rechner durch das Permanent Brain ebenfalls von der zusätzlichen gegnerischen Bedenkzeit profitierte, fällt es mir auch jetzt noch sehr schwer, den Vorzug dieser Regelung zu erkennen. Einige Teilnehmer schlugen deshalb vor, daß man einfach alle Programme (falls möglich) auf einem der Standard-Rechner mit 200 MHz spielen lassen sollte; dieser vernünftige Vorschlag stieß aber auf heftigen Widerstand der besser ausgerüsteten Teilnehmer...

Auch die in Punkt 3 aufgeführte Lösung mit der etwas willkürlichen Einstufung der Programme war umstritten. Nicht jeder Teilnehmer wollte die Schmach akzeptieren, sich in die später scherzhaft als "Patzergruppe" bezeichnete Gruppe II einstufen zu lassen. Zu Recht wurde auch bemängelt, daß sich die Einstufung bei einer späteren Feinwertung durchaus nachteilig für ein Programm erweisen konnte, das zu Beginn in dieser Gruppe spielen mußte.

Leider konnte die Turnierleitung keine plausible Begründung und Antwort für die Grundlagen dieser Einstufung vorweisen. Orientierte sich die ICCA an der SSDF-Liste oder an der Reputation? Orientiert man sich an der Hardware? Wie stuft man Programme ein, die kommerziell gar nicht verfügbar sind und die keiner kennt?

Turnierleiter Prof. van den Herik gab z.B. offen zu, daß er überhaupt nichts über die französischen Programme wußte, bestand aber konsequent auf der Beibehaltung der vorgenommenen Klassifizierung.

Gespielt wurde in einem wunderschön ausgestatteten Saal mit echten Deckenmalereien im ersten Stock der Pariser Börse. Vom Gang aus konnte man in den Spielpausen das hektische Treiben der Börsianer beobachten, das sehr oft in tumultartigen Szenen ausuferte und dessen Rituale dem Nichteingeweihten völlig verschlossen sind. Bemerkenswert fand ich die hohe Zahl von Ordnungskräften, die reichlich damit zu tun hatten, die oft erhitzten Gemüter zu beruhigen und eine Eskalation der Ereignisse zu verhindern. Leider konnte man die Fenster des Spielsaales - wohl aus Sicherheitsgründen - nicht zum Lüften öffnen und in den ersten beiden Tagen gab es lediglich einen Kaffeautomaten für alle Teilnehmer.
Das Bulletin mit den Partien wurde in den ersten Runden von Matthias Feist und später von Frederic Friedel mit ChessBase erstellt und war spätestens zu Beginn der nächsten Runde in sauber ausgedruckter Form incl. Fortschrittstabelle verfügbar. Dies war für die ICCA gar nicht so einfach, da die Sponsoren der ICCA keinen Kopierer zur Verfügung stellen wollten und Prof. Tony Marshland extra zu einem Kopierladen gehen mußte, um den Teilnehmern ein Bulletin anbieten zu können! Vorbildlich fand ich, daß man unmittelbar nach jeder Runde auf Wunsch die gespielten Partien im PGN-Format auf Diskette bekommen konnte, um die Partien im Hotelzimmer nachzuspielen oder zu analysieren. Wie in den letzten beiden Jahren wurde das Turnier mit 11 Runden ausgespielt, was natürlich bei 34 Teilnehmern geradezu ideal ist und die Rolle des Zufalls bei der Vergabe der Spitzenplätze eingrenzte.

Die Favoriten

Im Vergleich zu den früheren Turnieren haben die Amateure an Spielstärke erheblich zugelegt und waren jederzeit für eine Überraschung gut. Ein Grund dafür ist die immer schnellere Hardware, die ohne weiteres die effiziente Abarbeitung eines Schachprogramms in einer "normalen " Hochsprache ermöglicht. Viele z.B. in "C" entwickelten Programme bieten den Vorteil, daß sie universell auf verschiedenen Hardwareumgebungen (IBM-Kompatible, Alpha oder Mac) einsetzbar sind.

Fritz 5 wurde in Paris von dem bewährten Gespann Morsch/Feist betreut und gehörte für mich in Verbindung mit dem eigens für das Turnier mitgebrachten Pentium II 300 MHz und üppigen 256 MB RAM zu den ernsthaftesten Anwärtern auf den ersten Platz.
Der Titelverteidiger Stefan Meyer-Kahlen war mit Shredder angereist, um seinen im Vorjahr errungenen Titel zu verteidigen. Seit dem Titelgewinn im letzten Jahr gingen die Einschätzungen zu der Spielstärke von Shredder gehörig auseinander. Stefan mußte sich mit dem Vorurteil auseinandersetzen, daß der Gewinn des Titels in Jakarta eher auf die Abwesenheit der TopProgramme zurückzuführen war und auch von einigen Fachjournalisten gehörige Kritik einstecken.

Wir hatten aufgrund unserer Tests die Spielstärke des Windows Programms mit ca. 2400 Elo nach SSDF-Niveau auf einem P90 eingeschätzt, was kurz vor Turnierbeginn durch die Resultate der neuesten SSDF-Liste dann auch bestätigt wurde; also mit Sicherheit ein absolutes TopProgramm mit einem sehr ausgewogenen positionellen Spielstil. Shredder untermauerte im Verlauf des Turnieres mit seinem 3.Platz diese Einschätzung (Spitzenprogramm) dann auch eindrucksvoll.

Der Österreicher Chrilly Donninger konnte mit seinem Nimzo in den letzten Mikro-WM's immer herausragende Ergebnisse erzielen und gehörte für mich mit seinem völlig neu konzipierten Hydra alias Nimzo 98 ebenfalls zum engeren Favoritenkreis. Große Chancen auf den Titel hatten natürlich auch die auf den superschnellen 767 MHz Alphas laufenden Ferret und Dark Thought.

Auf Ferret wurde ich erstmals in Paderborn 1995 aufmerksam, als das amerikanische Programm Amateurweltmeister wurde und die beiden späteren Co-Sieger MChess Pro und Chess Genius besiegen konnte. Nach Paris reiste Ferret als amtierender Vizeweltmeister und Blitzweltmeister an und rechnete sich mit Sicherheit sehr gute Titelchancen aus.

Zu meinem persönlichen Geheimtip gehörte das deutsche Programm Dark Thought, das von Ernst Heinz und Markus Gille an der Universität Karlsruhe entwickelt wird. Schon in Paderborn spielte das Programm bis in die Schlußrunde um den Titel mit und konnte beim Aegon-Turnier 1997 ein sehr gutes Resultat erreichen.

Zu meinen Lieblingsprogrammen gehört seit langer Zeit das französische Programm Virtual Chess, das neben einem originellen, grafisch sehr aufwendigen Benutzerinterface auch über eine sehr hohe Spielstärke verfügt. Der Hersteller des Programms war, wie weiter oben beschrieben, gleichzeitig einer der Hauptsponsoren des Turnieres und das Medieninteresse richtete sich - zumal nach dem lange Zeit sehr erfolgreichen Turnierverlauf - vor allem auf das heimische Programm.

Zum guten Schluß gehörte natürlich noch das von mir betreute Programm MChess Pro 7.0 von Marty Hirsch zu den Topfavoriten. Die im Vorfeld dieser Meisterschaft erzielten Testresultate waren außerordentlich gut, so daß wir uns ebenfalls Hoffnungen auf den Titelgewinn machten. Leider hat es nicht geklappt...

Trotz der Abwesenheit von Rebel, Genius und Hiarcs war also ein sehr starkes Teilnehmerfeld am Start und der Ausgang des Turnieres war damit völlig offen.

1.Runde
Sonntag 26.10.1997

Am Sonntag startete das Turnier um 10 Uhr morgens. MChess muß mit seinem K6/233 MHz gegen Dark Thought antreten, das auf einem der superschnellen, mit 767 MHz getakteten Alpha läuft. Auf dem Monitor von Dark Thought steht ein großes Werbeschild von DEC und man kann schon von weitem die Message erkennen: 767 MHz! Für mich selbst war die Partie gegen Dark Thought nicht ohne persönliche Bedeutung, da von dem Computerschachfreak Prof. Ingo Althöfer von der Universität Jena für alle Programme auf K6, die gegen einen der Alphas gewinnen konnten, ein Freibier ausgesetzt war. MChess enttäuschte mich nicht und das erste Freibier wurde sichergestellt.

Chrilly Donningers "Hydra" oder Nimzo 98 verlor gegen das auf einem Pentium II 300 MHz agierende spanische Programm Toledo antreten, das sich im weiteren Turnierverlauf auch für andere Programme als äußerst unangenehmer Gegner entpuppte. Während der Partie hatte das Nimzo-Team einige Schwierigkeiten mit dem für das Turnier mitgebrachten Rechner, der recht willkürlich mitten in der Partie sein Powermanagment aktivierte und die Performance des Programms drastisch drosselte. Nach Anfrage beim Turnierleiter durfte Nimzo 98 auf einen der vom AMD bereitgestellten Maschinen mit 200 MHz umsteigen.
Erste dunkle Vorahnungen dürften das Team um Fritz 5 nach der Partie gegen IsiChess beschlichen haben, in der IsiChess trotz schwacher Hardware ein Remis erzielen konnte!
2.Runde
Montag 27.10.1997

Die im Spielsaal bereitgestellten Klappstühle brechen je nach eingenommener Sitzhaltung zusammen und sind daher nicht ohne Tücken. Da ich mit gebrochenem Bein nach Paris gereist bin und nur auf Krücken laufen kann, bitte ich die charmante Betreuerin Estelle vom Sponsor Titus um eine etwas komfortablere Sitzgelegenheit, da ich mir nicht noch einen Knochen brechen möchte. Sie sagt mir zu, daß sie einen anderen Stuhl für mich besorgen will.
Zwischenzeitlich läßt sich endlich auch einmal jemand von AMD im Turniersaal blicken. Herr Kafka ist Marketing Chef von AMD und muß sich mit den Vorwürfen der Teilnehmer auseinandersetzen, denen im Vorfeld von AMD eine schnellere Maschine versprochen war. Dem Marketing-Profi gelingt es erfolgreich, die Leute zu beruhigen und er verkündet eine gute Nachricht: am Abend gegen 19 Uhr kommt ein Techniker von AMD mit schnelleren Prozessoren und wird diese in die Maschinen einbauen. Dann können alle ab der 4.Runde mit den schnelleren K6/233 MHz spielen. Klasse!
ChessTal spielt gegen das französische Programm Chess Guru. Normalerweise geht dem Programm von Chris Wittington der Ruf voraus, daß es seine Partien in erster Linie im opferlustigen Angriffsstil gewinnt. Diese Partie gewinnt ChessTal, zur großen Freude von Operator Thorsten Czub, sicher im Turmendspiel.

Das dänische Programm Gandalf von Steen Suurballe und Dan Wulff gehört zu der Gruppe der wissenbasierten Programme mit relativ umfangreichen Heuristiken. Neben einem guten Essen ist es für Dan Wulff immer ein besonderes Vergnügen, einem der ganz Großen bei einer WM ein Bein zu stellen. In Paderborn 1995 mußte Hiarcs in einer vielbeachteten Partie dran glauben; in Paris wurde nun der amtierende Weltmeister Shredder mit einem bemerkenswerten Figurenopfer niedergestreckt!
MChess Pro 7.0 kann trotz Qualitätsgewinn gegen den heimischen Vertreter Virtual Chess II nur ein Remis erreichen und verschenkt einen wichtigen halben Punkt.

3.Runde
Montag 27.10.1997

In der Pariser Börse scheint es keinen Stuhl für mich zu geben. Trotz mehrfachem Hinweis auf meine Behinderung zuckt Betreuerin Estelle nur mit den Schultern. Mittlerweile sind wieder einige Teilnehmer mit ihrem Stuhl zusammengebrochen. Ich drohe Estelle, mich als Berichterstatter über dieses Turnier in der RE über die mangelnde Fürsorge von Seiten des Veranstalters auszulassen. Das hilft! Binnen kürzester Zeit bekomme ich einen bequemen, gepolsterten Stuhl, um den mich alle Teilnehmer beneiden...
Der spätere Turniersieger Junior setzt sich - noch auf einem K6/200 MHz - gegen das französische Programm Capture sicher durch.
Das holländische Programm Kallisto konnte beim Aegon-Turnier ein Topresultat mit einer Performance von über 2600 Elopunkten erzielen. Ganz klar, daß sich Bart Westrate zusammen mit Betreuer Jan Louwman große Hoffnungen gemachte hatte. Irgendwie kam Kallisto bei dem Turnier nicht richtig in Fahrt und mußte gegen Chess Guru schon bald aufgeben.
Die interessanteste Partie der Runde gewinnt MChess Pro 7.0 gegen den spanischen Vertreter Toledo.
Nach Abschluß der Runde wird der für 19 Uhr angekündigte Techniker von AMD mit den schnelleren 233 MHz - Prozessoren sehnsüchtig erwartet. Er kommt nicht und er kommt nicht; die Stimmung wird deutlich gereizter. Endlich, kurz vor 21 Uhr erscheint der Techniker mit den Prozessoren, schraubt fleißig die PC's auf und macht sich an die Arbeit. Nachdem ich meinen eigenen Rechner vor einer eventuellen Aufrüstaktion in Sicherheit weiß, hinke ich mit Thorsten Czub und einigen Teilnehmern noch zu einem feuchtfröhlichem Umtrunk. Kaum liege ich im Hotelbett, klingelt das Telefon. Marty Hirsch ist dran und will die ersten Resultate wissen.

Ziemlich verärgert erzählt er mir, daß in Paris die Weltmeisterschaft stattfindet und kein Mensch etwas Genaues weiß; lediglich auf dem Server von ChessBase in Deutschland gibt es ein paar Informationen. Ich soll die Veranstalter einmal fragen, ob sie schon einmal etwas vom Internet und dessen Möglichkeiten zur schnellen Übermittlung von Informationen gehört haben. Richtig, der Mann hat recht. Im Turniersaal gibt es keinen Internetzugang, warum auch immer. Ein Telefonanschluß ist im Saal, Rechner sind auch da, da kann es doch eigentlich nicht so schwierig sein, ein Modem anzuschließen und für den nötigen Informationsfluß zu sorgen...

4.Runde
Dienstag 28.10.1997

Es ist 9 Uhr in der Früh und die 4.Runde sollte eigentlich losgehen. Im Turniersaal geht es etwas konfus zu. Gestern abend war der Techniker von AMD da und hat festgestellt, daß die mitgebrachten schnelleren K6/233 MHz-Prozessoren nicht zu der Stromversorgung der Motherboards passen. Also mußten die 233er wieder ausgebaut und die langsameren 200 MHz-Chips eingesetzt werden...
Offensichtlich scheint AMD die Veranstaltung nicht ganz ernst zu nehmen, denn ein Ansprechpartner ist auch nicht mehr vorhanden. Da kann man nur neidisch auf die Betreuung der Alpha-Rechner von Seiten des Herstellers DEC schauen. Die Firma hat neben den Rechnern extra zwei Spezialisten aus den USA nach Paris geschickt, um im Problemfall schnelle, kompetente Hilfe zu gewährleisten. Die Alphas laufen während des Turniers wunderbar, dafür hilft Techniker Jeff den leidgeplagten K6-Usern (also der Konkurrenz!) mit kompetenter Hilfe aus.

Amir Ban hat jetzt auch die Nase voll und bestellt sich bei dem Direktversender Gateway einen schnellen Intel PII/300 MHZ für die restlichen Runden des Turniers.
Die mißlungene Umrüstaktion von AMD war noch für den ersten offiziellen Protest dieser Mikro-WM verantwortlich. In dieser Runde wurde MChess Pro 7.0 gegen das bisher lediglich als Werbephantom bekannte Programm Goliath ausgelost. Die Partie verlief bis zum 19.Zug von Weiß (MChess Pro 7.0) ganz normal.






In dieser Stellung stürzte Goliath total ab. Laut Reglement wurde dem Operator des Programms (Autor Borgstädt war leider nicht anwesend) genügend Zeit eingeräumt, um das Programm erneut zu starten. Leider war das Programm nur mit einem rudimentären Textmodus ausgestattet (von dem Komfort der beworbenen Windowsversion war nichts zu sehen), der Operator hatte offensichtlich überhaupt keine Computererfahrung und war mit der Rekonstruktion der oben abgebildeten Position restlos überfordert. Mit vereinten Kräften von Thorsten Czub, Gerd Isenberg, Dan Wulff und mir selbst konnten wir schließlich die Stellung in Goliath eingeben. Das Ergebnis ließ auf einen Bug schließen, da Goliath in der oben abgebildeten Position z.B. ein einzügiges Matt mit 19...Lh6+ ankündigte oder bei einem Neustart in dieser Position einfach wieder abstürzte. Nach über drei Stunden mußte dann Prof. Jaap van den Herik entscheiden und sprach MChess den Punkt zu. Die Partie wurde nach dem Protest gegen die Wertung am Donnerstag fortgesetzt und von MChess gewonnen. Die Begründung des Protestes finden Sie im Kurzbericht zu den Runden 6 und 8.
Das holländische Programm Diep war erstmals bei einer Mikro-WM dabei. Der Autor Vincent van Diepveen verfügt über ein beträchtliches Selbstbewußtsein und rechnete sich auch einige Chancen auf einen der vorderen Plätze aus. In einem Artikel im ICCA-Journal behauptete ein Autor, daß Diep bei Langzeitanalysen das stärkste Schachprogramm der Welt sein soll. In der 4.Runde mußte Diep gegen Virtual Chess II, einen der Geheimfavoriten jedoch eine Niederlage hinnehmen.
Eine wichtige Begegnung war die Partie von Junior K6/200 MHz gegen den amtierenden Vizeweltmeister Ferret auf dem 767er Alpha, welche von Junior siegreich gestaltet werden konnte.
Nach einigen Remisen mußte Fritz 5 eine empfindliche Niederlage gegen das amerikanische Programm Stobor hinehmen.

5.Runde
Dienstag 28.10.1997

Zu einem Fixpunkt des Turnieres hatte sich zwischenzeitlich CS Tal Bediener Thorsten Czub (Spitzname "Handyman") entwickelt. Wie schon weiter oben erwähnt, tröpfelten die Informationen über diese WM nur sehr spärlich an die Außenwelt. Zwischenzeitlich waren viele Computerschachfans weltweit ziemlich sauer über die miserable Informationspolitik der Organisatoren; denn Genaues (Ergebnisse, Zwischenstände, etc.) war eigentlich kaum via Internet zu erfahren. Thorsten Czub ergriff die Iniative und übermittelte Spielergebnisse, Kurzberichte usw. via Handy nach England zu Chris Wittington, der die diktierten Berichte niederschrieb und danach im virtuellen Computerschachclub CCC postete.

Diese Form der Vorortberichterstattung war zwar nicht immer ganz objektiv, kam aber bei den Freaks weltweit hervorragend an! Später wurde die Übertragung der mündlichen Berichte von Prof. Ingo Althöfer von der Universität Jena übernommen, der sich mehrmals täglich mit Thorsten Czub kurzschloß und der weltweit verstreuten Gemeinde immer spannende Berichte zukommen ließ.

Die New Yorker Schachversandfirma ICD übernahm generös die Kosten für diese Telefonate und Thorsten hielt sich trotz der Doppelbelastung Operator und Reporter vor Ort ganz hervorragend. Warum sich die ICCA nicht selbst um die entsprechende Darstellung ihres Turnieres im Internet gekümmert hat, bleibt für mich ein Rätsel...
MChess Pro mußte gegen ChessSystem Tal antreten, das über eine gigantische, mehrere 100 MB große Eröffnungsbibliothk verfügt. Die beiden Programme leierten eine obskure Theorievariante in der Bauernraubvariante des Najdorf-Sizilianers herunter und nach Abschluß der Abtestung der Eröffnungskenntnisse war eine forcierte Remisvariante auf dem Brett. Nicht immer sind die modernen Riesenbibliotheken von Vorteil, dafür konnten Thorsten und ich eine kleine Verschnaufpause einlegen, da unsere Partie bereits nach einer Stunde zu Ende war.

Das deutsche Programm mit dem lustigen Namen XXXX II von Martin Zentner gewann gegen das im Vorfeld hoch eingeschätzte holländische Programm Kallisto, das zu den Favoriten gezählt wurde und in diesem Turnier seinen Status als WM-Kandidat nicht untermauern konnte.
Virtual Chess setzte den Glanzpunkt in dieser Runde und plazierte sich mit einem sicheren Gewinn gegen Junior an der Tabellenspitze.

6.Runde
Mittwoch 29.10.1997

Heute ist die Hälfte des Turnieres überschritten und es zeichnen sich die ersten Konturen in der Tabelle ab. Die meisten Teilnehmer bewohnen das gleiche Hotel in der Nähe des Turnierortes und schon beim Frühstück wird heftig über den weiteren Verlauf des Turnieres spekuliert. Amir Ban hat jetzt endlich seinen PII/300 MHz von Intel bekommen und muß nicht mehr länger mit dem bisher genutzten "lahmen" K6/200 MHz spielen.
Das erste "Opfer" von dem "aufgerüsteten" Junior ist das etwas exentrische englische Programm ChessSystem Tal, das eine Vielzahl von speziellen Heuristiken über Angriffsmotive enthält und daher (der Name verpflichtet) ganz untypisch für einen Computer zugunsten von Angriffschancen sehr opferfreudig ist. Das Programm ist nicht unbedingt auf Geschwindigkeit optimiert und erreichte trotz des Pentium II/300MHz lediglich ca. 6000 Positionen in der Sekunde.
Das amerikanische Programm Crafty ist eine Entwicklung von Robert Hyatt, der seit Anfang der Achtziger eine feste Größe im Computerschach ist und in dieser Zeit mit dem damaligen SuperRechner Cray Blitz bereits aufsehenerregende Erfolge erringen konnte. Im Unterschied zu den kommerziellen Programmen ist Crafty für jedermann im Internet frei verfügbar und in diversen Versionen für den PC oder Alpha erhältlich. Heute spielte Crafty auf einem 500 MHz Alpha gegen Virtual Chess II, das mit dem Gewinn der Partie die Führung nach der ersten Hälfte des Turnieres einnimmt:

Der Zwischenstand nach der 6.Runde:

                                    R1       R2  R3      R4    R5     R6
1.virtual chess 2       w23+ b 2= w26+ b 6+ w 3+ b 4+  5.5
2.mchess pro          b 8+ w 1= b10+ w16+ b13= w 9+  5.0
3.junior                     b12= w 9+ b32+ b 5+ b 1- w13+  4.5
4.crafty b 7= w22= b21+ w25+ b15+ w 1-  4.0
5.ferret w17= b31+ w14+ w 3- w 6= w10+  4.0
6.diep b29+ w25+ b13= w 1- b 5= w16+  4.0
7.shredder w 4= b17- w31+ w15- b28+ b26+  3.5
8.dark thought w 2- b23+ w24= b19= w30+ b20=  3.5
9.arthur w18= b 3- w11+ b24+ w26+ b 2-  3.5
10.toledo2000 w11+ b18= w 2- b27+ w17+ b 5-  3.5
11.hydra b10- w12= b 9- w34+ b32+ w24+  3.5
12.eugen 7.2 w 3= b11= w20+ w13= b16- b19+  3.5
13.cstal w24+ b15+ w 6= b12= w 2= b 3-  3.5
14.woodpusher b34+ w16= b 5- w21= b25+ b 7=  3.5
15.guru b33+ w13- w18+ b 7+ w 4- b 7=  3.5
16.goliath w30+ b14= w17+ b 2- w12+ b 6-  3.5
17.gandalf b 5= w 7+ b16- w32+ b10- b22=  3.0
18.kallisto b 9= w10= b15- w28= b20= w32+  3.0
19.chess tiger b28+ w32- b22= w 8= b21+ w12-  3.0
20.xxxx 2 b25- w29+ b12- b23+ w18= w 8=  3.0
21.patzer w26= b27+ w 4- b14= w19- b30+  3.0
22.fritz w31= b 4= w19= w26- w27= w17=  2.5
23.comet b 1- w 8- b34+ w20- b31+ b 7=  2.5
24.the crazy bishop b13- w33+ b 8= w 9- b29+ b11-  2.5
25.sos w20+ b 6- w30+ b 4- w14- b 7=  2.5
26.stobor b21= w28+ b 1- b22+ b 9- w 7-  2.5
27.anmon b32= w21- b29+ w10- b22= b 7=  2.5
28.francesca w19- b26- w33+ b18= w 7- b 7=  2.0
29.nightmare w 6- b20- w27- b33+ w24- b34+  2.0
30.technochess b16- w34+ b25- w31+ b 8- w21-  2.0
31.isichess b22= w 5- b 7- b30- w23- b33+  1.5
32.capture w27= b19+ w 3- b17- w11- b18-  1.5
33.ananse w15- b24- b28- w29- b34+ w31-  1.0
34.dragon w14- b30- w23- b11- w33- w29-  0.0


7.Runde
Mittwoch 29.10.1997

Turnierleiter Jaap van den Herik informiert mich darüber, daß Herr Borgstädt, der Autor von Goliath, einen offiziellen Protest gegen die Wertung in der Partie gegen MChess Pro eingereicht hat. Herr Borgstädt hat die kritische Stellung zu Hause getestet und konnte die geschilderten Probleme nicht nachvollziehen. Laut Herrn Borgstädt mußte also ein Defekt an der Hardware vorliegen, was aufgrund der gescheiterten Umrüstaktion des AMD-Technikers vom Montagabend durchaus möglich war. Mir wurde weiter mitgeteilt, daß am Abend ein Komitee über den Protest entscheiden würde und ich mich für eine Befragung bereithalten solle.
Zuerst aber muß ich mit MChess Pro gegen den aufgerüsteten Junior von Amir Ban antreten. Ich erinnere mich, daß Amir in der Spielerbesprechung am Samstag vehement dafür eingetreten ist, Programmen auf langsamerer Hardware einen Extrabonus an Bedenkzeit zukommen zu lassen. Da mein K6/233 MHz deutlich langsamer als Amir's nagelneuer PII-Rechner ist, frage ich mal scherzhaft nach, ob er mir den zusätzlichen Zeitbonus zugesteht. Leider Fehlanzeige! Die anschließende Partie nimmt dann einen für MChess ungünstigen Verlauf.

Für Fritz 5 mit den Betreuern Frans Morsch und Matthias Feist ist das Turnier bisher sehr unglücklich verlaufen. Endlich ist mit Frederic Friedel moralische Verstärkung aus Hamburg angekommen und das holländische Programm gewinnt seine erste Partie in Paris gegen das im Vorfeld ebenfalls sehr hoch eingestufte Kallisto.

Die 7.Runde ist vorüber und Virtual Chess II führt mit 6/7 vor Junior 5,5/7 und Guru mit 5/7. Jetzt muß ich ich mich noch vor dem Komitee zum Verlauf der Partie zwischen MChess und Goliath äußern. Das Komitee setzt sich aus IM David Levy und den Programmierern Francois Baudot (Virtual Chess) und Tom King (Francesca) zusammen. Zuerst schildert Turnierleiter J.van den Herik dem Komitee die Situation. Seiner Ansicht nach konnte man nicht unbedingt von einem Hardwarefehler ausgehen. Sehr wahrscheinlich wäre das Problem leichter einzugrenzen gewesen, wenn der Operator von Goliath besser mit der Funktionsweise des Programms - wie in den Regeln vorgeschrieben - vertraut gewesen wäre.

Ich selbst sehe das genauso und gebe gegenüber dem Komitee zu bedenken, daß das Turnier in dem fortgeschrittenen Stadium durch die Neuansetzung u.U. verzerrt werden könnte. Während das Komitee berät, muß ich draußen warten und ärgere mich sehr darüber, daß ein unmittelbarer Konkurrent im Turnier (Baudot) in diese Entscheidung über MChess mit eingebunden ist. Nach längerem Beraten entscheidet das Komitee, daß die Partie am spielfreien Nachmittag des Donnerstag genau in der Position fortgesetzt wird, an der Goliath abstürzte. Ich akzeptiere diese Entscheidung; leider fällt damit der geplante Bummel am Montmartre flach.

8.Runde
Donnerstag 30.10.1997

Allmählich wird es für alle Beteiligten ernst, wenn es mit einer guten Plazierung noch etwas werden soll. Die Favoriten des Turnieres geben sich keine Blöße und gewinnen ihre Partien. Junior gewinnt seine Partie gegen das ebenfalls an der Spitze liegende französische Programm Chess Guru.
Virtual Chess II verteidigt seine Führung souverän in seiner Partie gegen das spanische Programm Eugen und wird schon voreilig als der neue Mikro-WM gefeiert.
Heute bietet sich die Gelegenheit für mich, bei einem Sieg mit MChess über den auf einem der 767er Alpha laufenden Ferret mein zweites Freibier von Prof. Althöfer zu gewinnen und gleichzeitig Revanche für die Schlappe gegen Ferret in Paderborn zu nehmen. Beides gelingt!

Titelverteidiger Shredder kommt allmählich in Fahrt und hat sich mit einem Sieg über Diep mittlerweile auf den 4.Platz in der Tabelle hinter Virtual Chess II, Junior und MChess Pro festgesetzt.
Die anderen Teilnehmer könnten jetzt den freien Nachmittag genießen; aber fast alle wollen die Fortsetzung der Partie MChess Pro gegen Goliath sehen. Kurz vor der Partie schildere ich Eric Caen den Grund für unsere "Sonderschicht", der mir daraufhin erzählt, daß Autor Michael Borgstädt via Email über den Internetzugang von Sponsor Titus eine brandneue Version an seinen Operator geschickt hat. Bevor die Partie beginnt, rufe ich Turnierleiter Prof. van den Herik und verlange, daß die Partie genau mit der gleichen Version von Goliath fortgesetzt wird, die in der 4.Runde abstürzte; angeblich war ja die Hardware an den Problemen des Programms schuld.
Außerdem bin ich ziemlich sauer über den Versuch der Gegenseite, mit einer Version die Partie fortzusetzen, die nachweislich nach dem Absturz erstellt wurde. Immerhin liegen ja zwei Tage dazwischen und man könnte in der Zwischenzeit Goliath auf die Partiefortsetzung eingestellt haben. Der Turnierleiter schließt sich meiner Auffassung an und ich muß jetzt erst einmal längere Zeit warten, bis der Vertreter des Goliath-Teams die entsprechende Version auf dem neuen Rechner installiert hat. Die Partie wird von MChess sicher gewonnen.

Nach all diesen Aufregungen bin ich ziemlich erschöpft. Am heutigen Abend veranstaltet die Pariser Börse eine Party mit einem erstklassigen Menü. Leider besteht eine Kleiderordnung und ich habe weder Anzug noch Krawatte dabei; daher muß ich mit CSTal Bediener Thorsten Czub und Gandalf-Programmierer Dan Wulff in ein etwas obskures arabisches Restaurant mit weniger noblem Ambiente essen gehen.

9.Runde
Freitag 31.10.1997

Sehr humorvoll wurden die zahlreiche Stürze mit den merkwürdig konstruierten Klappstühlen aufgenommen. Auch Betreuerin Estelle Giron vom Sponsor Titus mußte dran glauben; nach der intern geführten Strichliste war sie bis dahin das 13.Opfer des gefährlichen Mobiliars...
Die Schlüsselbegegnung dieser Runde ist das Aufeinandertreffen des amtierenden Weltmeisters Shredder gegen Virtual Chess II, welches von Shredder gewonnen wird.
Junior gewinnt seine Partie gegen Gandalf und ChessSystem Tal stößt mit seiner Gewinnpartie gegen Goliath in die Spitzengruppe vor.
In Führung liegt jetzt Junior mit 7,5 Pkt. vor Virtual Chess II 7Pkt., Shredder 2.0 mit 6.5 Pkt., MChess mit 6 Pkt. und ChessTal mit 6 Pkt. MChess kann sich den Titel wohl abschminken, aber bei den drei erstplazierten Programmen ist noch alles drin und für Spannung ist gesorgt.
Am heutigen Freitag abend wurden alle Teilnehmer von den Sponsoren in ein erstklassiges, vornehmes Restaurant in luftiger Höhe im Eifelturm eingeladen. Ich sitze beim Bankett neben dem Ehepaar Louwman und der Computerschach-Veteran Jan unterhält uns während des hervorragenden Essens mit Anekdoten aus den vergangenen Zeiten. Nach Abschluß des Bankettes möchten wir mit dem Taxi ins Hotel zurück. Leider gibt es kein reguläres Taxi mehr, aber ein inoffizieller Fahrer offeriert uns für pauschal 100 Francs seine Dienste; wir lassen uns darauf ein. Ich habe mich schon während des ganzen Aufenthaltes in Paris gewundert, wieso hier nur so wenige Unfälle im Straßenverkehr passieren. Nach der rasanten Fahrt - stellenweise war es ein traumatisches Erlebnis - verstehe ich es erst recht nicht...
10.Runde Samstag 1.11.1997
Heute ist wieder ein volles Programm angesagt, da neben der 10.Runde noch das Blitzturnier ausgetragen wird. Die Top-Paarung dieser Runde ist die Partie von Shredder 2.0 gegen den führenden Junior. Wenn Stefan seinen Titel verteidigen will, muß er heute unbedingt gewinnen. Aber Junior hat jetzt einen echten Lauf und gewinnt die Partie nach zähem Ringen.

Virtual Chess II bleibt dran mit einem Sieg gegen ChessSystem Tal. MChess Pro 7.0 gewinnt seine Partie gegen Chess Guru und nach der 10.Runde führt Junior mit 8,5 Pkt. vor Virtual Chess II mit 8 Pkt., MChess Pro 7.0 mit 7 Pkt. und Shredder 2.0 mit 6,5 Pkt.
Am heutigen Samstag ist auch die Blitz-WM angesagt, an der ich mit MChess Pro nicht teilnehmen möchte. Von den Bedienern ist jetzt echte Fitness gefordert, da die Maschinen für jede Runde durch den Turniersaal transportiert und neu aufgebaut werden müssen. Sie können sich vielleicht lebhaft vorstellen, was für chaotische Verhältnisse herrschen, wenn 34 Teilnehmer zwischen den Runden ihre Maschinen im Saal herumkarren. CSTal-Bediener Thorsten Czub ist von dem andauernden Streß als Live-Berichterstatter und Bediener sichtlich erschöpft und will ChessSystem Tal nicht während des Blitzturniers bedienen. Chris Wittington fragt mich, ob ich vielleicht Lust habe, das Programm während des Blitzturniers zu bedienen; ich bin einverstanden.

Da ich ein gebrochenes Bein habe und mit den Krücken nicht den Rechner transportieren kann, stellt Chris beim Turnierleiter den Antrag, daß ich mit dem Computer einen festen Platz einnehmen kann und nicht immer umziehen muß. Prof. van den Herik stimmt zu und schon gibt es den nächsten Protest! Titelverteidiger Bruce Moreland (Ferret gewann die Blitz-WM 1996) sieht darin einen unzulässigen Vorteil, da ich mich nicht der anstrengenden Transportprozedur unterziehen muß. Der Turnierleiter entscheidet daraufhin, daß ich nur auf Verlangen eines anderen Teilnehmers umziehen soll...
Die Bedenkzeit beträgt insgesamt 7 Minuten für die komplette Partie und die bekannt starken Blitzer Ferret, Hydra und Junior müssen feststellen, daß mit Shredder 2.0 auch im Blitz nicht gut Kirschen essen ist.
Ferret war das dominierende Programm im Blitzen und gab lediglich zwei halbe Punkte ab. Mit dem 767 MHz/Alpha ging Ferret meiner Ansicht nach aber mit einem deutlichen Vorteil an den Start. Von den vier Top-Plazierten finde ich das Ergebnis von Chrilly Donninger's Hydra bemerkenswert, das sich trotz der relativ langsamen Hardware glänzend gegen die Konkurrenz behaupten konnte und als echtes Blitzmonster auftrat.
Blitz-WM 1997

1. Ferret                           10
2. Shredder                     8½
3. Hydra                           8
4. Junior                           8
5. Fritz                              7
6. Chess Guru                 6½
7. Diep                             5½
8. Chess Tiger                5½
9. Dark Thought              5½
10. Virtual Chess            5
11. SOS                           5
12. Chess System Tal    5
13. Capture                      5
14. Isichess                      5
15. Comet                        5
16. Gandalf                      5
17. Crafty                         4½
18. The Crazy Bishop    4½
19. Eugen                        4
20. Nightmare                 3½
21. XXXX2                       3
22. Patzer                        2


11.Runde
Sonntag 2.11.1997

Heute geht das Turnier zu Ende und die letzte Runde ist spannend. Shredder 2.0 gewinnt überzeugend gegen MChess Pro 7.0 und belegt einen verdienten dritten Platz. Virtual Chess II büßt seine Chancen durch eine Niederlage gegen das superstarke deutsche Programm Dark Thought ein.
Damit war die Entscheidung schon gefallen, Junior war auf jeden Fall der neue Weltmeister! Der neue Mikro-WM schloß das Turnier aber mit einem Sieg über Fritz 5 standesgemäß ab.
Herzlichen Glückwunsch an die neuen Weltmeister Amir Ban und Shay Bushinsky aus Israel, die mit dem überzeugenden Auftritt von Junior in Paris verdient den Titel gewonnen haben!
15th WMCC Paris  1997

1 Junior/P2_300            +9 =1 -1   9.5
2 Virtual Chess 2/P2_300   +7 =2 -2   8.0
3 Shredder 2.0/Alpha 533   +7 =1 -3   7.5
4 MChess 7.0/K6_233        +5 =4 -2   7.0
5 Ferret/Alpha 767         +5 =4 -2   7.0
6 Dark Thought/Alpha 767   +5 =4 -2   7.0
7 Toledo 2000/P2_300       +6 =2 -3   7.0
8 Hydra/K6_233             +6 =2 -3   7.0
9 Comet/K6_200             +6 =1 -4   6.5
10 ChessSystem Tal/P2_300   +4 =4 -3   6.0
11 Arthur/K6_200            +4 =4 -3   6.0
12 Eugen 7.2/K6_200         +3 =6 -2   6.0
13 Gandalf/K6_200           +5 =2 -4   6.0
14 Chess Guru/Alpha 500     +6 =0 -5   6.0
15 Diep/P2_300              +4 =4 -3   6.0
16 Fritz/P2_300             +3 =6 -2   6.0
17 Kallisto/K6_233          +4 =4 -3   6.0
18 Crafty/Alpha 500         +4 =3 -4   5.5
19 Crazy Bishop/K6_200      +5 =1 -5   5.5
20 IsiChess/K6_200          +5 =1 -5   5.5
21 Goliath/K6_200           +4 =2 -5   5.0
22 Woodpusher/K6_200        +4 =2 -5   5.0
23 XXXX II/P2_300           +4 =2 -5   5.0
24 Stobor/K6_200            +4 =2 -5   5.0
25 Patzer/K6_200            +4 =2 -5   5.0
26 SOS/K6_200               +5 =0 -6   5.0
27 Chess Tiger/P2_300       +3 =3 -5   4.5
28 AnMon/K6_200             +3 =3 -5   4.5
29 Techno Chess/K6_200      +4 =1 -6   4.5
30 Capture/K6_200           +2 =3 -6   3.5
31 Francesca/K6_200         +1 =4 -6   3.0
32 Nightmare/P2_266         +2 =2 -7   3.0
33 Dragon/K6_200            +2 =2 -7   3.0
34 Ananse/K6_200            +0 =0 -11  0.0

Fazit

Bei einem Turnier mit 11 Runden Schweizer System sollte man bei der Interpretation der Ergebnisse natürlich vorsichtig sein. Die souveräne Vorstellung und der Spielstil von Junior hat mich persönlich sehr beeindruckt; wer nur 1,5 Punkte in einem solch starken Feld abgibt, verfügt mit Sicherheit über ganz besondere schachliche Klasse! Ich würde das Programm mit dem soliden, ausgewogenen Spielstil eher in die Klasse der wissensbasierten Programme als in die der sturen Brüter (nach dem Motto: "schnell aber dumm") einstufen.
Über das ganz hervorragende Anschneiden von Virtual Chess II habe ich mich besonders gefreut, weil dieses Programm neben der ausgezeichneten Spielstärke noch über eine phantastische Benutzerführung verfügt und schon seit langem zu meinen Lieblingsprogrammen gehört. Nach dem guten Abschneiden bei dieser WM in Paris wird die Szene dieses Programm wohl endlich als ernsthaften Konkurrenten zur Kenntnis nehmen müssen.
Titelverteidiger Shredder dürfte mit seinem dritten Platz endgültig einige Vorurteile widerlegt haben, die den Titelgewinn in Jakarta vom Vorjahr lediglich auf die Abwesenheit anderer Spitzenprogramme zurückführten. Meiner Ansicht nach gehört das positionell ausgelegte Shredder zu den absoluten Top-Programmen und wird zukünftig bei dem Rennen um die Nr.1 ein wichtiges Wort mitzureden haben.
MChess Pro 7.0 konnte mit seinem Abschneiden (4.Platz) auf relativ langsamer Hardware zufrieden sein. Die Interpretation der Stellungsbewertung bei dem amerikanischen Programm ist immer eine schwierige Angelegenheit, da das Programm positionelle Kriterien oft zugunsten von Material etwas überbewertet. Die beiden Siege gegen die schnellen 767er-Maschinen (Ferret, Dark Thought) incl. dem damit verbundenen Freibier haben mich natürlich besonders gefreut. Zumindest kann sich MChess mit dem leider nicht vergebenen Titel - bestes Programm auf einem AMD K6 - schmücken.
Der Stolz und die Hoffnung Österreichs Hydra alias Nimzo 98 hatte etwas Pech mit der Abstimmung seiner Eröffnungsbibliothek. Das Programm wählte oft sehr scharfe, materiell ungleiche Varianten, die eher besser zum Spiel gegen Menschen als gegen Computer passen. Meiner Ansicht nach ist Nimzo 98, das jetzt ebenfalls ein Windows-Programm ist, ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem Dos-Vorgänger. Chrilly Donninger hat das Programm in einigen wichtigen Bereichen (Zuggenerator, Bewertungsfunktion) erheblich auf mehr Schnelligkeit getrimmt, ohne das konkrete Schachwissen des Programms zu reduzieren. Im Blitzturnier unterstrich Hydra seine Qualitäten und ich bin sicher, daß auch Nimzo 98 noch für Furore sorgen wird.
Frans Morsch und Matthias Feist waren natürlich mit dem Abschneiden des populären Fritz in Verbindung mit der tollen Hardware kaum zufrieden. Verantwortlich war vielleicht die riesige Eröffnungsbibliothek, die besser durch eine speziell auf den Spielstil Fritzens abgestimmte Bibliothek ersetzt worden wäre.
Insgesamt kann man aber festhalten, daß das allgemeine Niveau im Computerschach deutlich gestiegen ist. Jeder kann jeden schlagen - das war für mich das wichtigste Fazit aus dem Turnier. Es gibt aber noch einen Aspekt, der mir bei der Betrachtung der Abschlußtabelle und den persönlichen Einzelresultaten aufgefallen ist.Vor einigen Jahren wurde in Expertenkreisen heftig darüber diskutiert, mit welchem grundsätzlichen Ansatz die schachliche Qualität der Programme zu steigern ist.
Auf der einen Seite gibt es die Befürworter eines sehr pragmatischen Ansatzes, dessen Motto lautet: Schnell, schnell und nochmals schnell..., um möglichst große Rechentiefen zu erreichen. Bei dieser Philosophie wird auf die Implementierung von konkretem Schachwissen weitgehend verzichtet, um den Programmcode möglichst kompakt zu halten und damit eine möglichst schnelle Ausführungsgeschwindigkeit zu garantieren.
Vielversprechender scheint mir der zweite Ansatz zu sein: nämlich eine möglichst effektive Ausbalancierung zwischen konkretem Schachwissen und noch zu vertretender Geschwindigkeit. Motto: Geschwindigkeit ist nicht alles; das Programm soll auch etwas vom Schach "verstehen".
Betrachtet man jetzt einmal aufmerksam die Situation innerhalb der Eloliste der SSDF, so fällt die momentan dominante Position der wissensbasierten Programme, wie z.B. Hiarcs, Rebel, MChess, Genius usw. auf. Dieser Trend hat sich in Paris bestätigt. Die an der Spitze liegenden Programme sind alle Vertreter der sogenannten "intelligenten" Programme und ich bin mir ziemlich sicher, daß der Weg für echte Steigerungen nur über diese Schiene führen wird. Die Voraussetzungen sind schon mit den Möglichkeiten der heutigen Hardware-Generation ideal; zukünftige Großtaten der Ingenieure bei INTEL, AMD oder DEC sind mit Sicherheit zu erwarten.

Ein Extremfall für die wissensbasierten Programme ist das in Paris auffällig in Erscheinung getretene englische Schachprogramm ChessSystem Tal von Chris Wittington. Dieses Programm wird mit dem sehr ehrgeizigen Anspruch entwickelt, möglichst angriffslustig im Stil eines Michael Tal zu spielen. Normalerweise bewerten Schachprogramme den Faktor Material sehr hoch, bei diesem Programm ist das jedoch völlig anders. ChessSystem Tal ist jederzeit bereit, auch unter Materialverlust Stellungen anzustreben, die vollgespickt mit taktischer Möglichkeiten sind.
Dieses Konzept wurde in der Vergangenheit oft belächelt, wenn sich die spekulativen Opfer des Programms später als nicht ganz stichhaltig erwiesen. In Paris kam ChessSystem Tal trotz schneller PII/300 MHz-Hardware im Schnitt auf ca. 6000 bewertete Positionen pro Sekunde (die umfangreichen Algorithmen gehen auf Kosten der Geschwindigkeit) und spielte trotzdem ein ausgezeichnetes Turnier; mit etwas Glück wäre noch ein besseres Resultat drin gewesen. Vielleicht opfert uns Chesstal in zwei bis drei Jahren alle gnadenlos nieder...

Besonders gut gefallen hat mir die freundschaftliche Atmosphäre unter den Teilnehmern. Ein ganz wichtiger Aspekt bei diesen Veranstaltungen ist die Möglichkeit, im direkten persönlichen Gespräch Erfahrungen auszutauschen oder neue Kontakte zu knüpfen. Turnierleiter Prof. Jaap van den Herik bewunderte ich für seine Energie und Geduld, mit der er auch in schwierigsten Situationen immer eine für alle Teile befriedigende Lösung fand.
Kritisch beurteile ich einige Versäumnisse bei der Organisation durch die ICCA im Vorfeld (keine Internet-Präsenz, willkürliche Regelauslegung usw.); allerdings hatte der Verband auch einiges Pech mit den Sponsoren. Trotz einiger organisatorischer Detailschwächen hat sich aber die Teilnahme am Turnier gelohnt, denn es besteht ja Hoffnung, daß die ICCA aus den diesjährigen Problemen für die nächste Veranstaltung die richtigen Schlußfolgerungen zieht.

Falls der Verband allerdings auch in Zukunft auf der etwas befremdlichen Klassifizierung mit Profi - SemiProfi oder Amateur und den damit für die Autoren verbundenen Kosten besteht, sind erhebliche Zweifel angebracht, ob der Verband bei zukünftigen Mikro-WM's wieder ein komplettes Teilnahmerfeld mit allen Top-Programmen zusammenbekommt.
Zum Schluß noch eine letzte Information: insgesamt 18 Zusammenbrüche gab es laut Strichliste mit den vorhandenen Klappstühlen...